Die REWE Group ist einer der größten Handels- und Touristikkonzerne Europas – mit über 384.000 Beschäftigten und einem Umsatz von knapp 85 Milliarden Euro (Stand 2022). Angesichts dieser Größe stellt sich vielen die Frage: Wem gehört REWE? Anders als etwa Aldi (Familienbesitz) oder Lidl (im Besitz der Schwarz-Gruppe) verbirgt sich hinter REWE keine einzelne Gründerfamilie und kein externer Großinvestor. Die Antwort ist ebenso simpel wie außergewöhnlich: REWE gehört seinen Mitgliedern – den selbstständigen Kaufleuten, die unter dem REWE-Dach zusammenarbeiten. Damit ist REWE kein klassisches börsennotiertes Unternehmen, sondern ein genossenschaftlich organisierter Konzern.
Der Ursprung der REWE Group liegt in einer genossenschaftlichen Initiative der 1920er Jahre. Gegründet wurde REWE 1927 in Köln, inmitten einer wirtschaftlich turbulenten Zeit. Damals schlossen sich 17 selbstständige Kaufleute zusammen und hoben den „Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften“ aus der Taufe – kurz REWE genannt. Der sperrig anmutende Name verdeutlicht bereits den Gründungsgedanken: Gemeinsam sind wir stärker. Ziel der Genossenschaft war es, durch gemeinschaftlichen Einkauf bessere Konditionen für die Mitglieder zu erreichen und so im Wettbewerb gegen große Ketten zu bestehen.
Bereits in den ersten Jahrzehnten wuchs das genossenschaftliche Netzwerk rasant. 1935 traten weitere regionale Einkaufsgenossenschaften aus Mitteldeutschland REWE bei; bis 1940 stieg die Zahl der Genossenschaften auf 106 mit rund 8.000 Mitgliedern. Jeder dieser selbstständigen Einzelhändler war also Miteigentümer des Verbunds. Der Zweite Weltkrieg brachte einen Einschnitt – viele Händler wurden eingezogen und Waren waren knapp –, doch schon 1945 nahm REWE in Köln die Geschäftstätigkeit wieder auf und baute das Netzwerk in Westdeutschland neu auf. In den Nachkriegsjahrzehnten expandierte REWE durch den Anschluss weiterer Regionalgenossenschaften und übernahm auch erste Supermarkt-Ketten, wodurch unterschiedliche Ladenformate unter dem REWE-Dach koexistierten.
Ein wichtiger Meilenstein in der strukturellen Entwicklung war das Jahr 1972. Zu diesem Zeitpunkt führte REWE das bis heute gültige „Partnerschaftsmodell“ ein. Die zuvor weitgehend autonomen Regionalgenossenschaften hatten schon 1968 wesentliche Managementfunktionen an die Kölner Zentrale abgegeben. 1972 wurde die REWE-Zentrale schließlich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt – allerdings ohne die genossenschaftliche Kontrolle aufzugeben. Die Aktionäre dieser neuen REWE-Zentral-AG waren die regionalen Großhandlungen der Genossenschaft. Zugleich blieb die genossenschaftliche Organisation bestehen: Die Rewe-Zentralfinanz eG fungiert seither als Konzernobergesellschaft und Finanzverbund der Gruppe. Dieses duale Modell (Genossenschaft eG plus Konzern-AG) sichert REWE seitdem Finanzierung und zentrale Steuerung, ohne externe Eigentümer ins Boot zu holen. Ein geplanter Zusammenschluss mit dem genossenschaftlichen Mitbewerber Edeka wurde 1971 zwar diskutiert, jedoch aus kartellrechtlichen Gründen nicht umgesetzt – REWE blieb also eigenständig und setzte seinen Wachstumskurs auf eigene Faust fort.
Auch fast 100 Jahre nach der Gründung ist die Genossenschaftsstruktur das Herzstück des Unternehmens. REWE wurde nie verkauft und hat sich nie in die Hände eines branchenfremden Großkonzerns oder Finanzinvestors begeben. Stattdessen ist das Unternehmen bis heute im Besitz seiner Mitglieder. Diese Mitglieder sind die selbstständigen REWE-Kaufleute, die die Supermärkte vor Ort betreiben. Man kann sich das Modell vereinfacht so vorstellen: Die REWE-Kaufleute ähneln Franchise-Nehmern, mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie zugleich Teilhaber des Gesamtkonzerns sind.
In der Praxis bedeutet das: Rund 1.800 selbstständige Kaufleute in Deutschland (viele in Familienhand teils über mehrere Generationen) bilden das Rückgrat der REWE Group und sind als Genossenschaftsmitglieder zugleich Miteigentümer des Unternehmens. Keine einzelne Person und keine Familie hält eine Mehrheitsbeteiligung – Eigentümer ist die Gemeinschaft der Genossenschaftler. Entscheidungen von strategischer Tragweite werden demokratisch innerhalb der genossenschaftlichen Gremien getroffen, zum Beispiel in Generalversammlungen. Der Aufsichtsrat der REWE Group wird maßgeblich von diesen Händler-Vertretern kontrolliert (bis 2023 hatte mit Erich Stockhausen ein selbstständiger REWE-Kaufmann den Vorsitz inne). Auch der Vorstandsvorsitzende (derzeit Lionel Souque) wird nicht von externen Shareholdern bestimmt, sondern vom Aufsichtsrat gewählt und damit indirekt von den Mitgliedern legitimiert. Dieses demokratische Prinzip stellt sicher, dass die Interessen der Basis – also der selbstständigen Kaufleute – im Mittelpunkt stehen.
Die REWE Group als Konzernverbund setzt sich heute aus einer Vielzahl von Gesellschaften zusammen, die alle letztlich von der genossenschaftlichen Eigentümerstruktur getragen werden. Oberste Holding ist die Rewe-Zentralfinanz eG in Köln, unter deren Dach die Rewe-Zentral-AG und zahlreiche Tochterfirmen (z.B. REWE Markt GmbH, Penny GmbH, Toom Baumarkt GmbH usw.) operieren. Externe Anteilseigner gibt es nicht – sämtliche Anteile befinden sich im Besitz der Genossenschaft bzw. ihrer Mitglieder. Selbst große Tochterunternehmen wie der Discounter Penny, die Baumarktkette Toom oder die Touristik-Sparte DER Touristik sind Teil dieses genossenschaftlichen Gefüges und somit indirekt ebenfalls Mitgliedereigentum. Die Eigentumsverhältnisse von REWE sind also nicht durch Aktienkurse und anonyme Investoren geprägt, sondern durch die aktive Beteiligung der Kaufleute vor Ort. In einer Zeit, in der viele Konzerne von kurzfristigen Renditezielen getrieben sind, stellt dieses Modell beinahe eine Ausnahme dar.
Diese besondere Eigentumsform bringt REWE einige Vorteile: Zum einen genießen die Mitglieder-Unternehmer unter dem gemeinsamen Dach lokale unternehmerische Freiheit, kombiniert mit den Rückhalt und Ressourcen eines Großkonzerns. Zum anderen erlaubt die genossenschaftliche Unabhängigkeit REWE, langfristig zu planen und zu investieren, ohne dem unmittelbaren Shareholder-Druck zu unterliegen. Entscheidungen werden von Menschen getroffen, die selbst im Tagesgeschäft stehen und an nachhaltigem Unternehmenserfolg interessiert sind – und nicht von fremden Investoren, die primär auf das nächste Quartalsergebnis schielen. Dieses Modell hat sich für REWE als äußerst robust erwiesen: Trotz intensiver Konkurrenz im Handel konnte die REWE Group beständig wachsen, ohne ihre genossenschaftlichen Prinzipien aufzugeben.
REWE’s genossenschaftliche Verfasstheit hat dem Unternehmen nicht etwa Grenzen gesetzt, sondern im Gegenteil den Grundstein für eine beeindruckende Erfolgsgeschichte gelegt. Ohne einen Verkauf an externe Investoren und ohne Fusion mit einem größeren Rivalen ist REWE in den letzten Jahrzehnten zu einem Giganten im europäischen Einzelhandel aufgestiegen. Dazu trugen mehrere strategische Weichenstellungen und Akquisitionen bei:
Einstieg ins Discount-Geschäft (1970er): 1974 beteiligte sich REWE an der Leibbrand-Gruppe (zu der u.a. der Discounter Penny und Toom Baumarkt gehörten) und übernahm diese später vollständig. Damit expandierte REWE in neue Geschäftsbereiche – insbesondere den boomenden Discount-Sektor – und überschritt Mitte der 1970er erstmals die Umsatzmarke von zehn Milliarden DM. In den 1980ern folgten weitere Zukäufe wie z.B. die Supermarktkette Kaiser & Kellermann. Auch führte REWE 1982 die bis heute erfolgreiche Eigenmarke „ja!“ als preisgünstiges Sortiment ein, um im Wettbewerb mit Aldi zu bestehen.
Internationalisierung (1990er): Nach der deutschen Wiedervereinigung expandierte REWE in die neuen Bundesländer und wenig später ins europäische Ausland. Ein Meilenstein war 1996 die Übernahme der österreichischen Handelskonzerne Billa und Merkur, wodurch REWE auf einen Schlag in Österreich Marktführer wurde und sich eine langfristige Präsenz in Mittel- und Osteuropa sicherte. Heute ist REWE in über 20 Ländern aktiv.
Diversifizierung in Touristik (2000er): Ende der 1990er stieg REWE in das Touristik-Geschäft ein. Die Gruppe übernahm 1999/2000 das Deutsche Reisebüro (DER) von der Deutschen Bahn und formte daraus die Reiseveranstalter-Sparte DER Touristik. REWE avancierte damit zu einem bedeutenden Player auch in der Tourismusbranche – ein zweites Standbein neben dem Lebensmittelhandel.
Digitalisierung und neue Geschäftsfelder (2010er & 2020er): REWE hat früh auf E-Commerce und digitale Services gesetzt (z.B. mit REWE Online-Lieferdiensten und Beteiligungen an Startups im Tech-Bereich). Zudem wurde das Filialnetz kontinuierlich modernisiert und erweitert. 2019 etwa übernahm REWE den Convenience-Großhändler Lekkerland zu 100 %, um das Geschäft mit Unterwegsversorgung (Tankstellen-Shops, Kioske etc.) auszubauen. Solche Zukäufe stärken die Wettbewerbsposition, ohne die Eigentümerstruktur zu verändern – REWE bleibt auch bei Expansion zu 100 % in Mitgliederhand.
Diese kontinuierliche Expansion aus eigener Kraft zeigt, wie erfolgreich das genossenschaftliche Modell für REWE ist. Trotz intensiver Marktveränderungen – von der Discounter-Welle über E-Commerce bis zur Internationalisierung – konnte die REWE Group ihren Kurs halten. Heute steht das Unternehmen mit seinen Supermärkten (REWE, REWE Center, Nahkauf), Discountern (Penny), Fachmärkten (Toom Baumärkte) und Touristikunternehmen (DER Touristik) auf breiter Basis da. Gemeinsam mit Edeka, der Schwarz-Gruppe (Lidl/Kaufland) und Aldi gehört REWE zu den vier dominierenden Handelskonzernen in Deutschland, die zusammen über 70 % des Lebensmittelmarktes abdecken. Die besondere Eigentümerstruktur hat REWE dabei nicht gebremst – im Gegenteil scheint sie ein Wettbewerbsvorteil zu sein, da Entscheidungen nahe am Markt und mit langfristiger Perspektive getroffen werden.
Wem gehört REWE? – Die klare Antwort lautet: REWE gehört seinen Mitgliedern. Die Unternehmensgruppe ist fest in genossenschaftlicher Hand und damit “allen und keinem” gleichzeitig. Es gibt keine dominante Einzelperson, keine Erben-Dynastie und keinen anonymen Großinvestor im Hintergrund. Dieses Modell hat historische Wurzeln (seit 1927) und bewährt sich bis heute als Erfolgsrezept. Die selbstständigen Kaufleute als Eigentümer denken langfristig, investieren gemeinsam in die Zukunft und wahren zugleich ihre lokale Unternehm autonomy. Dadurch bleibt REWE nahe an Kunden und Märkten, ohne auf die Vorteile eines Großkonzerns verzichten zu müssen.
Aus neutraler Sicht lässt sich festhalten, dass REWE ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Genossenschaft im 21. Jahrhundert ist. Während viele Konkurrenten strikt zentral oder von Finanzinvestoren geführt werden, zeigt REWE, dass demokratische Strukturen und wirtschaftlicher Erfolg sich nicht ausschließen – im Gegenteil. Mit seiner breiten Mitgliederbasis hat das Unternehmen eine stabile Grundlage, auf der es auch zukünftige Herausforderungen meistern kann. Kurz: REWE gehört keinem einzelnen – REWE gehört vielen, nämlich den Kaufleuten und damit letztlich ein Stück weit auch den Kunden in den Regionen. Diese dezentrale Eigentümerstruktur macht REWE besonders und vermutlich auch zukunftsfähig.
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